Trainingsumfänge beim Klettern

Geht noch eine Einheit heute, oder laufe ich Gefahr mich zu verletzten oder in einen Übertrainingszustand zu geraten?

Die Frage, was ist genug und wann ist es zu viel, stellt sich vor allem den ehrgeizigen Athleten. Leider ist diese eine der schwierigsten Fragen im Sport und nicht eindeutig zu beantworten. Nicht zuletzt auch deswegen, weil jeder Mensch individuell anders auf Belastung reagiert. Aber auch das Alter und Trainingsjahre spielen eine Rolle. Über die Trainingsjahre adaptiert sich der Körper an die Belastung und es ist ein höherer Trainingsumfang möglich. Allerdings kann auch gegenteilig argumentiert werden, dass mit der Erfahrung eine höhere Intensität an den Tag gelegt werden kann, und so die Umfänge nicht unbedingt erhöht werden müssen. Mehr ist nicht immer besser!

Ein Blick auf Eliteathleten

Sogar ein Vergleich der Weltklasse-Athleten zeigt enorme Unterschiede was die Trainingsumfänge angeht (Pirmin Bertle sehr niedrig, Jan Hojer moderat, Patxi Usobiaga sehr hoch). Die gute Nachricht dran ist, dass sich auch mit eher geringen Umfängen eine extreme Kletterleistung erzielen lässt. Um das mal anhand konkreter Fälle zu zeigen, folgen hier drei Beispiele dazu:

Sehr niedriger Umfang: Pirmin Bertle

Pirmin geht nach eigener Aussage ca. 3 mal die Woche für ca. 3 Stunden Klettern. Und das war es auch schon an Einheiten für Pirmin. Allerdings gilt es für ihn eine sehr hohe Intensität und Motivation beim Klettern zu haben. Er hat immer so zwei bis drei schwere Projekte gleichzeitig, an denen er sich versucht. Wenn Pirmin sich noch nicht 100% erholt fühlt, macht er lieber noch einen Tag mehr Pause. Das Ergebnis sind einige Touren im Schwierigkeitsgrad 9a. Seine Glanzleistung waren sogar zwei 9a Begehungen innerhalb von 75 Minuten.

Mit 15 bis 16 Jahren war das bei ihm anders, da trainierte er täglich. Neben dem Klettern machte er täglich Klimmzüge am Griffbrett. Davon bis zu 70 am Stück und insgesamt 300 am Tag!

(Quelle: http://download.power-quest.cc/PQ-podcast451.mp3)

Moderater Umfang: Jan Hojer

Jan gibt an ca. 3 bis 5 mal die Woche für ca. 2 Stunden zu trainieren (10 bis 14 Stunden die Woche). Davon drei mal Bouldern (ca. 3 Stunden die Einheit) und zwei mal Zubringertraining wie Campusboard, Griffbrett, Athletik und Körperspannung und auch mal laufen. Ich würde das als einen moderaten Umfang bezeichnen. Das denkt auch Jan selber, der meint, damit im Mittelfeld (auf den Trainingsumfang bezogen) der Weltcup-Boulderer zu liegen. Jan ist unter anderem Weltcup Sieger im Bouldern.

(Quelle: https://vimeo.com/66473915)

Extremer Umfang: Patxi Usobiaga

Wirklich unglaubliches leistete Patxi Usobiaga bis er 2011 seine Wettkampfkarriere wegen eines Autounfalls beendete. Er sagt von sich selbst, dass es sein Talent ist ein Masochist im Training zu sein. Sein Umfang: 7 Tage die Woche Training. An jedem Tag mindestens 2500 Züge.

Versuch einer Analyse

Was könnten die Gründe sein, dass sowohl sehr geringe wie auch sehr hohe Umfänge zum gleichen Ziel führen?

Mögliche Erfolgsfaktoren bei Kletterern mit geringen Umfängen:

  • sehr hohe Intensität
  • extreme geistige Fokussierung
  • kein schlechtes Gewissen durch wenig Training
  • wenig verbissen
  • hohe Regenerationsmöglichkeit durch viele Pausen
  • Talent

Mögliche Erfolgsfaktoren bei Kletterern mit hohen Umfängen

  • öfters mal eine niedrige Intensität im Training
  • viel Abwechslung im Training und Einheiten
  • auch regenerative Einheiten
  • schlechtes Gewissen bei geringeren Umfängen (man fühlt sich durch viel Training gut)
  • geringe Verletzungsanfälligkeit
  • Anpassung des Körpers an die hohen Umfänge
  • auch der Einsatz von anabolen Steroiden kann die Belastungsfähigkeit erhöhen (was ich hier aber ausdrücklich niemanden unterstellen möchte!)

Fazit:

Diese drei Beispiele zeigen deutlich, dass keine allgemeine Empfehlung gegeben werden kann. Jeder einzelne Sportler muss selbst für sich den Umfang an Trainingseinheiten herausfinden. Und das ist ein über Jahre dauernder, kontinuierlicher Prozess.

Es lassen sich allerdings für die Ehrgeizigen unter uns, die dazu noch viel Zeit haben, ein paar Tipps geben, um den Trainingsumfang sinnvoll zu erhöhen. Das bezieht sich vor allem auf den Umstand, das man mit drei bis fünf  Einheiten der Kategorien A (Bouldern, Klettern) und B (Trainingsboard, Campusboard, Systemwand…) die Woche schon an seine Belastungsgrenzen hinsichtlich Finger und Unterarme stößt. Die nun beschriebenen Trainingseinheiten (Kategorie C) lassen die Sehnen, Bänder, Muskeln der Finger und Unterarme weitestgehend unberührt.

  1. Beweglichkeitstraining
  2. Athletik und Körperspannung
  3. Ausgleichstraining (Krafttraining, Unterarmantagonisten, andere Sportarten)
  4. Joggen, Laufen & Co.
  5. Aktive Regeneration (Sauna, Physiotherapie, Massage)

Je nach Zeit und Ehrgeiz können diese Einheiten daher schön dazwischen geschoben werden. Dabei sollte Beweglichkeitstraining und Athletik & Stabilisation der Vorrang gegeben werden.

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