Kann man mit 27 eigentlich noch so richtig gut im Klettern werden?

Kann man eigentlich mit 27 noch so richtig gut im Klettern werden? Genau diese Frage habe ich mir selbst, mit eben 27 Jahren als Einsteiger in das Felsklettern gestellt und es kam die Tage mal wieder eine Benutzerfrage herein, die auch ziemlich genau auf diese Frage abzielt!

Auch wenn ich Klettern selbstverständlich aus wesentlich mehr Gründen betreibe, als just wetteifernd in den Klettergraden nach oben zu wandern, bin ich sehr ehrgeizig und trainiere auch viel. Allerdings stellt sich in mir so oft die Frage: Wo kann ich eigentlich hin? Wenn mein Traum wäre, im Leben mal eine 8a zu klettern, ist dieser Traum realisierbar oder hätte ich dafür schon mit 6 Jahren mit dem Klettern anfangen müssen?

Userfrage

Ich weiß auch noch, dass sich im climbing.de Forum, das derzeit leider offline ist, damals ebenfalls ein Thread um diese Frage drehte und die User-Beteiligung, meiner Erinnerung nach, sehr groß war. Ich kann allerdings nicht mehr sagen, was die mehrheitliche Meinung der damaligen Diskussionsteilnehmer zu dem Thema war…

Wie dem auch sei, es scheint für viele Quer- oder Späteinsteiger in den Klettersport einfach eine interessante Frage zu sein, was denn noch so geht, wenn man die nächsten Jahre noch einmal 100% Gas gibt und das Klettern/Boulder als Leistungssport betreibt!

Zunächst mal ist die Frage– was heißt denn eigentlich „richtig gut“ im Klettern zu werden? Das ist sicherlich ein dehnbarer Begriff, aber der Fragesteller meinte damit konkret, ob eine 8a (also 10- nach der UIAA Skala) noch realisierbar ist, oder ob er dafür schon mit 6 Jahren das Klettern hätte beginnen müssen!

Ich für meinen Teil habe mir da ähnliche Ziele vor mittlerweile 13 Jahren vorgestellt, konkret haben mich die zweistellig bewerteten Touren im Schwertner-Führer in ihren Bann gezogen und einfach eine gewisse Magie ausgestrahlt, wobei ich persönlich damals eine Tour mit 11- als ultimatives Kletterziel als Traum gehabt habe, aber ob das eben auch noch realistisch sein kann, darüber habe ich mir des öfteren Gedanken gemacht…

Schwertner-Führer Frankenjura: Wo Träume gemacht werden
Schwertner-Führer Frankenjura: Wo Träume gemacht werden

Mit anderen Kletterern aus dem Frankenjura diese Frage zu diskutieren, war zumindest zur damaligen Zeit mit vielen eher zwecklos, da in Schwierigkeitsgraden zu denken, oder sogar Routen gezielt nach dem Schwierigkeitsgrad auszuwählen, eher verpönt war. Bei vielen herrschte damals eine Einstellung nach dem Motto „Klettere Routen und keine Schwierigkeitsgrade“.

Allerdings hatte ich in einer Klettergruppe, auf die ich zur damaligen Zeit stieß, schon gleich erleben dürfen, was möglich ist: Mein Schulkamerad Florian Nestmann, der das Klettern auch erst mit 26 Jahren startete, konnte in weniger als einem Jahr mit dem Lochverstärker an der Kuhkirchner Wand eine Tour im Grad 9+ klettern!

Dieser Flo Nestmann ist übrigens mittlerweile auch der Geschäftsführer der Firma Nepro Sport, die auch für den Klettersport Nahrungsergänzungsmittel entwickeln und vertreiben!

Eine sehr respektable Leistung also, die der Florian damals abgelegt hat und die mir Inspiration aber auch Ziel zu gleich war. Auch ich konnte ich innerhalb des ersten Kletterjahres diese Route und damit bis in den Grad 9+ klettern!

Nur wenige Monate später gelang mir dann auch mit dem Durchstieg von Fingerfood, ebenfalls an der Kuhkirchner Wand, die erste 10-.

Danach ging es etwas langsamer voran und ich merkte, dass ich mit ausschließlich Klettern gehen nicht mehr so schnell weiter kam und machte mir die ersten Gedanken über gezieltes Training.

Ich denke im Jahr 2012, also mit 32 Jahren und nach 5 Jahren klettern, konnte ich den ersten glatten 10er durchsteigen und mit 35 Jahren im Jahr 2015 die erste und bis jetzt auch einzige 11-, nämlich den Intercooler an der Kalten Wand.

Intercooler 11- an der Kalten Wand
Intercooler 11- an der Kalten Wand

Neben dem Florian Nestmann und mir gibt es sicherlich auch weitere Späteinsteiger in den Klettersport, die gleiche, oder sogar noch größere Leistungssteigerungen vorzuweisen haben. Ich glaube mich an einem Amerikaner in den einschlägigen Klettermedien zu erinnern, der innerhalb eines Jahres eine 10+ klettern konnte…

Ich muss aber auch dazu sagen, dass es für mich persönlich schon ein harter Kampf mit den Touren war, und immer tagelanges projektieren und mehrere Durchstiegsversuche von Nöten waren, bis es mit dem einen Durchstieg geklappt hat. Also gar nicht zu vergleichen mit wirklichen Top-Kletterern, die eine 11- mal eben so als Aufwärmtour im ersten Versuch mitnehmen!

Aber für mich persönlich waren es immer klasse Erlebnisse und eine gewisse Genugtuung, die Durchstiege später, gerade aber auch durch zielgerichtetes Training erreicht zu haben!

Nun möchte ich im weiteren Teil des Beitrags noch darauf eingehen, ob das für jeden möglich ist und ob man vielleicht sogar behaupten kann, dass jeder eine 8a oder 10- klettern kann!?

Dazu muss ich sagen, dass sowohl der Florian Nestmann, als auch ich, mit 26 bzw. 27 Jahren nicht eben erst mit dem Sport generell angefangen haben, sondern dass wir beide in den Jahren davor auch schon intensiv Sport getrieben haben. Vom Florian weiß ich, dass er neben der Mittelstrecke in der Leichtathletik vor allem extrem viel Rad gefahren ist.

Florian Nestmann - mittlerweile auch als Ninja Warrior unterwegs
Florian Nestmann – mittlerweile auch als Ninja Warrior unterwegs

Ich habe davor Leichtathletik und im speziellem Stabhochsprung leistungsmäßig betrieben. Wir beide hatten also eine gewisse Sportlichkeit und Athletik, ehe wir uns dann beide für einige Jahre voll dem Klettersport verschrieben haben!

Damals als Stabhochspringer
Damals als Stabhochspringer

Mein Talent fürs Klettern würde ich dabei selbst als teilweise gut bis eher mittelmäßig einschätzen: Was mich auszeichnet, sind eine schon immer sehr gute Athletik, Körperspannung und Explosivkraft, ich bin dabei meiner Einschätzung nach aber tendenziell etwas zu schwer gebaut und habe als Schwäche die Fingerkraft, da meiner Vermutung nach die Hebelverhältnisse meiner Finger und Sehnenansätze eher suboptimal sind. Vermutlich konnte ich auch deswegen mit Griffbretttraining relativ viel erreichen. Meine Klettertechnik würde ich für das Rotpunktklettern und für den jeweiligen Leistungsbereich als ganz gut einschätzen!

Was dann im Endeffekt zu meinen persönlichen Bestleistungen geführt hat war, dass ich mich auf so vielen Bereichen wie möglich versucht habe zu entwickeln: So habe ich z.B. eine sehr gute Beweglichkeit durch regelmäßiges Training erreicht, hab auch meine Stärken durch das Training an der Klimmzugstange, Sprossenwand und Co. weiter entwickelt, und eben meine Schwäche, die Fingerkraft durch gezieltes Griffbretttraining optimiert.

Ganz am Ende habe ich für den Durchstieg der 11- sogar mit einer Diät noch mein Körpergewicht von durchschnittlich 77Kg auf 71Kg zeitweise reduziert, was sicherlich das letzte Puzzleteil für den Durchstieg einer 11- war.

Mir persönlich hilft es enorm, ein paar Kilos weniger auf die Waage zu bringen
Mir persönlich hilft es enorm, ein paar Kilos weniger auf die Waage zu bringen

Aber um noch mal auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Ist es denn generell möglich, sagen wir mal zumindest für 90% der späten Klettereinsteiger noch irgendwann eine 8a bzw. 10- klettern zu können? Also auch für die, die nicht aus anderen Sportarten schon gewisse Grundlagen mitbringen? Oder für Leute, die nicht mit einer außergewöhnlichen Genetik und Veranlagung gesegnet sind?

Ich denke ja! Sogar ein klares ja! Für diese Leute gilt es halt gleich zu Beginn auf allen wichtigen Fronten für das Klettern zu arbeiten: Neben dem Erlernen der Klettertechnik und Taktik selbst, sollte vor allem an der Athletik, der Körperspannung und der Beweglichkeit gearbeitet werden, so wie ich das schon in vielen meiner Beiträge propagiert habe! Mit ausschließlichem Klettern oder Bouldern gehen wird man seine Ziele kaum oder erst viel später erreichen. Schließlich sind die Finger auch gerade zu Beginn nicht so belastbar, so dass auch andere Trainingsinhalte gleich zu Beginn Sinn machen. Regelmäßiges Cardiotraining, wie 2x die Woche für 20 Minuten Joggen, sollten auch dazu beitragen den Körper an die Trainingsbelastung zu gewöhnen!

Ein Griffbretttraining gleich zu Beginn empfehle ich nicht, aber nach einer gewissen Zeit, kann auch das für einige durchaus sinnvoll werden!

Linebreaker AIR - Am richtigen Ort kann das Griffbretttraining sogar Spaß machen!
Linebreaker AIR – Am richtigen Ort kann das Griffbretttraining sogar Spaß machen!

Was in dem Alter, also 25 und älter, bei dem ein oder anderen, egal auch ob Frau oder Mann ein Thema sein kann, ist das Körpergewicht. In dem Alter haben manche schon etwas zu viel Fett und Masse angesetzt und das ist natürlich absolut kontraproduktiv fürs Klettern.

Bei einigen kann sich das Gewicht schon alleine durch den gesteigerten Bewegungsumfang reduzieren, für die anderen aber, die weniger Glück haben, kommt eine Ernährungsumstellung oder vielleicht auch nur ein wenig mehr Ernährungsbewusstsein oder Disziplin in Frage. Die ganz harten Fälle können sogar über eine dezidierte Diät nachdenken. Auch wenn der Begriff „Diät“ für viele abschreckend ist – auf diesem Weg kann man seinen Erfahrungshorizont und Wissenshorizont auch unglaublich erweitern – neben der Gewichtsreduktion an sich natürlich…

Als Faustregel, wie weit man es in einem Sport bringen kann, habe ich für mich persönlich so die Theorie, dass man in 3 Jahren bei 100%igen Trainingseinsatz 90% seines persönlichen Limits in den meisten Sportarten herausholen kann. Zumindest gilt das ab dem Zeitpunkt, ab dem man so ziemlich körperlich ausgewachsen ist, also ca. ab einem Alter von 15 Jahren.

Ab dann kann man also in fast jeder Sportart innerhalb von 3 Jahren 90% seines Limits erreichen. So zumindest meine Beobachtung und Erfahrung!

Das wollte ich allen Spät- und Umsteigern als Motivation noch mitgeben! Trainiert viel aber auch vielseitig, trainiert hart aber auch clever und macht es gut bis zum nächsten mal!

Der Artikel als Video

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5 Gedanken zu „Kann man mit 27 eigentlich noch so richtig gut im Klettern werden?

  • 16. März 2021 um 9:30
    Permalink

    Ich glaube, dass weit mehr möglich ist, als man denkt.
    8a (9+/10-) kann meiner Meinung nach jeder erreichen der bereit ist an seinen Schwächen zu arbeiten und aufhört Ausreden zu suchen warum es nicht geht.

    Antwort
  • 26. Oktober 2020 um 18:34
    Permalink

    Hallo,

    „Mit 27 Jahren 8a“
    Wenn man mäßg bis mittelmäßig talentiert ist, keine Kletterkumpel hat, die einem die komplexen Bewegungsabläufe verraten, wird man trotz intensivem Training wenig Chancen haben. Sowohl jünger als 27, als auch älter. Wenn dann zusätzlich Finger und Hände schon bei geringer Trainingsbelastung aussteigen noch weniger.

    Zitat:
    „Ab dann kann man also in fast jeder Sportart innerhalb von 3 Jahren 90% seines Limits erreichen. So zumindest meine Beobachtung und Erfahrung!“

    Nach meiner Erfahrung nein. Ich trainiere mich seit 8 Jahren hoch. Die Verbesserungen sind stetig, aber sehr gering. Das liegt daran, dass ich auch nach Jahren Training von den im Internet allgemein beschriebenen Trainingsumfängen nur träumen kann. Fehler in der Trainingsmethodik waren am Anfang häufiger, sind aber mit der Zeit immer geringer geworden.
    Die Ursachen sind im ersten Abschnitt beschrieben: Nur mäßiges Talent und wenig robuste Fingerorthopädie.
    Gruß
    Martin

    Antwort
  • 9. Juni 2020 um 16:29
    Permalink

    Mit 27 Zweifel , irgendwann eine 8a zu schaffen? Nur Mut! Das geht noch locker, wenn man sich drauf einlässt, gezielt zu trainieren. Ich habe auch erst im Erwachsenenalter angefangen und mit 53 meine bisher beste Kletterphase erreicht, einige 9/9+ und eine 8a. Jetzt gehe ich auf die 70 zu und klettere Neuner. Man darf sich bloß nicht von Zahlen beeindrucken lassen!

    Antwort
    • 10. Juni 2020 um 15:40
      Permalink

      Hallo Irmgard!
      Absolut beindruckend! Ich hab mich mal auf deiner Seite ein bisschen umgeschaut! Respekt für deine Leistung!

      Viele Grüße
      Christoph

      Antwort
    • 24. August 2021 um 16:58
      Permalink

      Liebe Irmgard,

      ich bin begeistert!! Grad wollte ich aufgeben (bin 55) aber jetzt möchte ich wieder anpacken.
      Immer hört man..zu alt für dies ..zu alt für das..
      Inakzeptabel!

      Danke für deine tollen Worte

      Antwort

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